"Ich treffe Dich", hat sie gesagt "in dem Schuppen an der alten Eisenbahnbrücke, Industriegebiet Nord früher. Ruppige Gegend. Café nach dem Fall oder so heißt der Laden. Also, bis dann."
War gar nicht mal schwer zu finden. Heißt aber heute schon wieder anders:
"Retro-Bar""
steht jedenfalls an der Tür.
Und an der Wand daneben, in Weiß gesprüht:
Treff von Avantgarde und Derriöre. "Ist die Kantine vom Eisenwerk gewesen", sagt die hinter der Bar. "Bartenderin" nennen sie sie hier.
"Weisse dat nich mehr Fränzken?" -"Kennen wir uns?" frage ich. "Na aber und wie!!!", sagt sie. "Dann war das hier 'ne Art Jugendzentrum, dann Disco, dann Techno-Schuppen. Und jetzt eben dies hier. Was darf's denn sein? Rumtata trinkt man hier mit Zitrone und Salbei." "Meinswegen", sage ich.
Ostermarsch-Rune hängt ihr am Lederband überm Pulli, und b***on: "Atomkraft - nein danke". Thälmann-Kappe auf'm Stoppel-Haar-Kopf, Nase & Lippe gepierct. Dabei ist sie bestimmt schon fünfzig.
"Klampfe dabei?", fragt sie, "kanns' ruhig einen reinhauen mal." "Ich kann's auch sein lassen", sag ich.
Preledium und Fuge in C von Bach orgelt über die Lautsprecherboxen. Stimmengewirr. Zigarren & Canabis-Qualm. Hoher Raum.
Von der Decke baumeln an Fäden Doppel-Portraits über den Tischen und Köpfen, Comic-Karikaturen:
Luther & Lennon, Madonna & Mozart, Karl & Groucho Marx, Che Guevara & BiIl Gates - diese Art. "Irre, wie?", sagt der an der Bar neben mir, ein k***lauchfresser.
Satisfaction löst Bach ab. Die Boxen brummen. Ein Halbnackter, tätowiert bis zum Arsch, tanzt dazu. "Ziemlich aufgemischt hier, wa?", sagt die Bartenderin, stellt mir den Rumtata hin mit Zitrone und Salbei. "Prösterchen", sagt sie, und:
"So geht das hier rund um die Uhr. Ach, Fränzken - war' n das noch Zeiten, wie wir im Schlafsack lagen. Gorleben, weisse noch? Und Hambacher Schloss. Und Sturm auf die Hauptwache in Frankfurt. Oder war's Startbahn West?"
"Muss jemand anders gewesen sein", sag ich, "und 'ne ganz andere Zeit."
"Egal", sagt sie, "war jedenfalls schön; und spannend war's sowieso."
"Die Rolling Stones gehören verboten", sagt der k***lauchfresser, "natürlich auch Eisler und Abba. Bist du nicht der Reinhard Mey?" "Ich bin Peter Schlemihl", stellt er sich vor, "ja, genau der, ohne Schatten. Sieh meine Quadratlatschen." Er hebt den Fuß.
"Die Siebenmeilenstiefel", sagt er, "du rätst nicht woher ich komme."
"Von Stalingrad", sagt einer, der g'rad vom Klo kommt. Junky-Bewegungen.
"Beckmann", stellt er sich vor. Trägt diese kaputte Brille, Wehrmachtsklamotten; Brotbeutel am Strick über die Schulter; lacht so wie Harald Juhnke.
"Na", sagt die Bartenderin, "ist das nichts hier? Typen, die findest Du sonst nirgendwo mehr." Sie stellt mir noch einen Rumtata hin mit Zitrone und Salbei.
Geht ganz schön in die Knie.
Der Walküren-Ritt braust aus den Boxen. "Wildgänse rauschen durch die Nacht", kräht Beckmann dazwischen. Schlemihl schlägt den Takt dazu auf dem Tresen, sagt: "Ich finde das Lettow-Vorbeck-Lied geiler:
Wie oft sind wir geschritten auf schmalem Negerpfad..." Ich pfeife die Melodie dazu.
"Hasse schon einen im Timpen, wat", sagt die Bartenderin. "Gib mir noch einen", sag ich.
"Fränzken", sagt sie, "weisse doch, wat mit Dir passiert, wennze besoffen biss!"
"Das geht Sie gar nichts an", sage ich.
Sie gibt mir noch einen Rumtata mit Zitrone und Salbei. "Strawberry Fields forever", singen die Beatles. "Stopp das!", ruft man von hinten, "Hergott, wer legt denn da auf!"
Und dann kommen fette Bässe und Techno-Rhythmen. 150 Beats oder so.
Der Schuppen tanzt; 20 Minuten vielleicht. Dann ist auch das vorbei, weil der Benediktiner-Chor aus Maria-Laach singt das Magnificat.
Jetzt bin ich soweit, geh durch den Raum, schieb mich an den Tischen vorbei. An Schachbrettern Rudi Dutschke und Hermann Löns, Löns in der Lodenjoppe, Flinte daneben, Rudi in seinem ewigen Pulli.
An einem anderen Schachbrett Berti Brecht und Tomy Mann, paffen Cuba-Zigarren, stoßen sich den Qualm ins Gesicht.
"Sie sind am Zug, Krokodil", sagt der Brecht. Und Mann sagt: "Dass ich überhaupt hier mit Ihnen..." Adorno sitzt da, schmust mit einer Tussi aus einer Sit-Com. "Na", fragt eine über und über gepiercte Punk-Lady, die sich von hinten an ihn heranmacht "immer noch keine Songs nach Auschwitz?" Adorno schüttelt den Kopf. "Auch keine Songs, dass man nach Auschwitz keine Songs mehr bringen kann?", fragt der Zigarettenqualmer am Nebentisch, Mister Heiner Müller, I presume. Adorno schüttelt den Kopf.
Der Vogelweide, Paul Gerhardt, Christian Günther, der Fallersleben und Otto Reuter am Billardtisch auf ihre Queues gestützt, dazu Fischer-Diskau und Roy Black singen mit Johnny Cash aus den Boxen:
"I walk the Line". Adorno spuckt aus.
Herr K., Meister vom fünften Grad der Wertkritik, vor ihm hockend, streicht zustimmend über sein warenförmig geschnittenes Haar.
An einem Flipper-Automaten aus den 60er Jahren der Peter Handke im Kostüm eines serbischen Bauern, und Tischfußball spielen Bullbeisser Nietzsche und Schmalzlocke Sloterdijk
gegen Winnetou Bloch und Emanuel Habermas. Aber und wie!
Eine Gruppe Japaner schaut zu, total begeistert und knackevoll von Rumtata mit Zitrone und Salbei. Sie wollen die Loreley singen.
Gotthilf Fischer gesellt sich dazu
und ein DJ. mit Zickenbart, den sie hier "Trotzki" rufen. Sarah Wagenknecht, Bettina von Arnim, Nina Hagen und Bärbel Bohley beim Dart-Spiel! Was sagt man dazu!
Irgendwo auch Berta von Suttner und Rosa Luxemburg. Und Günter Grass tanzt mit Christa Wolf Paso Doble um einen runden Tisch voller bärtiger Bürgerrechtier.
Am Katzentisch zwei alte Kommunisten, Ulbricht und Honecker etwa? Jedenfalls augurenhaft schmunzelnd zu dem, was Stefan Hermlin - kalte Pfeife in seiner Linken -aus dem Manifest ihnen vorliest:
Diese pikante Stelle über die freie Entwicklung des Einzelnen als Bedingung für die freie Entwicklung aller. Vorm Eingang zum Männerklo als Dioskuren aus kackgelber Knetmasse lebensgroß h***** und Saddam. Zu ihren Füßen hockend der Enzensberger als grinsende schwäbische Tante. Und die Toilettenfrau muß Leni Riefenstahl sein. Vor dem fast blinden Spiegel jedenfalls Annette von Droste-Hülshoff frischt sich ihr Augen-Make up auf. Hinter ihr Rainer-Werner Fassbinder kratzt ihr mit einem Händchen aus Elfenbein die Rückenpartie.
Zurück im Saal.
Endlich mal keine Musik aus den Boxen. Am Skattisch im Eck unterm Fenster jubelt man über den Null Ouvert von Martin Walser.
Und ein paar alte Wehrmachts-Leutnants, die auch nichts geahnt haben wollen, Augstein und Schmidt unter ihnen, singen, dirigiert von Ernst Jünger in Sado-Maso-Leder
- Pour-Ie-Mérite am Schwanz baumelnd - das Lied vom Polenmädchen.
Die mich hier treffen wollte, ist nicht zu finden. Ich rufe sie an über Handy:
"Wo bleibst Du?", frage ich. Wo ich denn wäre. "Im Café nach dem Fall oder so, heißt heute aber schon wieder anders."
"Gibt's den Laden denn überhaupt noch?", fragt sie. "Na aber und wie", sage ich.
"Sorry", sagt sie, "ich bin auf dem Sprung in den Kosovo, dreh' einen Film über die UCK.
Ich meld' mich, wenn ich zurück bin. Also, Tschüssing, und bis die Tage."
In der Nähe vom Tresen jetzt einer im grauen Dreiteiler, weißer Schal. Vor ihm paar Burschen und Mädel, Armani-Klamotten alle.
"Bedeutungsakzente verschieben!", labert der grau-weiße Guru und "experimentelles Verhalten zur Wirklichkeit neu justieren, pragmatische Anpassung statt Entlarvung, sich selbst zum Fall machen
und dabei auf alle Fälle eingehen, aber auf gar keinen Fall mehr reinfallen, dafür positive Beteiligung an der ausgebrochenen Erinnerungsschlacht."
Einer der Burschen rüttelt ihm am Hosenreißverschluss. "Kau ihm ruhig einen, kau ihm ruhig einen", singen die Mädels.
In den Boxen jetzt
die Barrikaden-Stimme von Ernst Busch. Das Lied für Hans Beimler.
Ob das der wär' aus der Lindenstraße, fragt jemand. Gelächter, Gelächter.
Am Tresen zurück, frag' ich:
"Wer ist dieser grau-weiße Guru, dem sie einen blasen?" "Ach der", sagt die Bartenderin, "Basis-Beruhiger ist der, typischer Stenz der neuen Berliner Republik, Straßenkampf-Leader früher, dann Sponsor von Hausbesetzern; steht auf Gehaltslisten von mindestens zwei oder drei Diensten. Den kannst du vergessen." "Gib mir noch einen", sage ich. "Du kriegst jetzt höchstens noch einen Rumtata mit Zitrone und Salbei", sagt sie. Peter Schlemihl ohne Schatten sagt:
"Was hältst Du von Hip-Hop? Bist Du nicht der Hannes Wader?" "Nein", sage ich, "Ferdinand Feiligrath".
"Da ist doch auch nichts gegen zu sagen", sagt er. "Elton John", sagt Beckmann, "und Arnold Schönberg, das sind die größten." "Nein, PUBLIC ENEMY", sagt die Bartenderin, "und Herby, der Grönemeyer. Aber der allergrößte war und bleibt Jimi Hendrix." Ich trinke den letzten Rumtata mit Zitrone und Salbei.
Beckmann zieht seine Crack-Pfeife aus dem Brotbeutel und ein englisches Pflaster.
"Dat gibt et hier nich", sagt die Bartenderin, nimmt ihm das Zeug weg.
"Was soll ich denn singen?", frag' ich.
"Gar nix", sagt die Bartenderin, bringt mich zur Tür. "Jessica heiß' ich jetzt", sagt sie.
Sie hat mich zum Abschied geküßt. "Ich werde das nie vergessen", hat sie gesagt "an der Murg, weisse noch, Fränzken, Freikorps Willich. Fritz Engels war noch dabei, und wir im Gebüsch.
Die Preußen feuerten mit Kartätschen. Oder war's beim Ruhraufstand, Essen, mit Rudi Schulte dabei?
Du hast auf mein heißgeschossenes MG gepisst. Und Hamburg, Bäckerbreitergang, wohin die Bullen uns getrieben hatten, weg vom Springer-Hochhaus mit unseren Barrikaden. Oder Montagsdemo Leipzig;
Wir sind das Volk und diese Sachen und..."Nein", hab' ich gesagt, "das war eine andere Zeit und ich bin nicht dabei gewesen.
Na, ist ja egal", hat sie gesagt, "verloren haben wir ja sowieso immer."
Dann ist sie wieder reingegangen, Jessica, die Bartenderin, in die Retro-Bar oder wie der Laden jetzt heißt. "Ich weiß nicht was soll es bedeuten", singen sie, hör' ich, wie ich zur Bushaltestelle geh'.
Die Loreley also doch.
Gotthilf Fischer ist das gelungen, da bin ich mir sicher, wenn nicht sogar diesem Trotzki.
Es hat geregnet. Plötzliche Schauer. Der Bus kam.
Und zwei Mädchen rannten heran, hielten 'ne Plastik-Haut über ihre beiden kahlen Köpfe gespannt und lachten und lachten, und der Busfahrer hat gesagt:
"Was gibt es denn da zu lachen? Erzählt mal. Vielleicht lach ich mit."
War gar nicht mal schwer zu finden. Heißt aber heute schon wieder anders:
"Retro-Bar""
steht jedenfalls an der Tür.
Und an der Wand daneben, in Weiß gesprüht:
Treff von Avantgarde und Derriöre. "Ist die Kantine vom Eisenwerk gewesen", sagt die hinter der Bar. "Bartenderin" nennen sie sie hier.
"Weisse dat nich mehr Fränzken?" -"Kennen wir uns?" frage ich. "Na aber und wie!!!", sagt sie. "Dann war das hier 'ne Art Jugendzentrum, dann Disco, dann Techno-Schuppen. Und jetzt eben dies hier. Was darf's denn sein? Rumtata trinkt man hier mit Zitrone und Salbei." "Meinswegen", sage ich.
Ostermarsch-Rune hängt ihr am Lederband überm Pulli, und b***on: "Atomkraft - nein danke". Thälmann-Kappe auf'm Stoppel-Haar-Kopf, Nase & Lippe gepierct. Dabei ist sie bestimmt schon fünfzig.
"Klampfe dabei?", fragt sie, "kanns' ruhig einen reinhauen mal." "Ich kann's auch sein lassen", sag ich.
Preledium und Fuge in C von Bach orgelt über die Lautsprecherboxen. Stimmengewirr. Zigarren & Canabis-Qualm. Hoher Raum.
Von der Decke baumeln an Fäden Doppel-Portraits über den Tischen und Köpfen, Comic-Karikaturen:
Luther & Lennon, Madonna & Mozart, Karl & Groucho Marx, Che Guevara & BiIl Gates - diese Art. "Irre, wie?", sagt der an der Bar neben mir, ein k***lauchfresser.
Satisfaction löst Bach ab. Die Boxen brummen. Ein Halbnackter, tätowiert bis zum Arsch, tanzt dazu. "Ziemlich aufgemischt hier, wa?", sagt die Bartenderin, stellt mir den Rumtata hin mit Zitrone und Salbei. "Prösterchen", sagt sie, und:
"So geht das hier rund um die Uhr. Ach, Fränzken - war' n das noch Zeiten, wie wir im Schlafsack lagen. Gorleben, weisse noch? Und Hambacher Schloss. Und Sturm auf die Hauptwache in Frankfurt. Oder war's Startbahn West?"
"Muss jemand anders gewesen sein", sag ich, "und 'ne ganz andere Zeit."
"Egal", sagt sie, "war jedenfalls schön; und spannend war's sowieso."
"Die Rolling Stones gehören verboten", sagt der k***lauchfresser, "natürlich auch Eisler und Abba. Bist du nicht der Reinhard Mey?" "Ich bin Peter Schlemihl", stellt er sich vor, "ja, genau der, ohne Schatten. Sieh meine Quadratlatschen." Er hebt den Fuß.
"Die Siebenmeilenstiefel", sagt er, "du rätst nicht woher ich komme."
"Von Stalingrad", sagt einer, der g'rad vom Klo kommt. Junky-Bewegungen.
"Beckmann", stellt er sich vor. Trägt diese kaputte Brille, Wehrmachtsklamotten; Brotbeutel am Strick über die Schulter; lacht so wie Harald Juhnke.
"Na", sagt die Bartenderin, "ist das nichts hier? Typen, die findest Du sonst nirgendwo mehr." Sie stellt mir noch einen Rumtata hin mit Zitrone und Salbei.
Geht ganz schön in die Knie.
Der Walküren-Ritt braust aus den Boxen. "Wildgänse rauschen durch die Nacht", kräht Beckmann dazwischen. Schlemihl schlägt den Takt dazu auf dem Tresen, sagt: "Ich finde das Lettow-Vorbeck-Lied geiler:
Wie oft sind wir geschritten auf schmalem Negerpfad..." Ich pfeife die Melodie dazu.
"Hasse schon einen im Timpen, wat", sagt die Bartenderin. "Gib mir noch einen", sag ich.
"Fränzken", sagt sie, "weisse doch, wat mit Dir passiert, wennze besoffen biss!"
"Das geht Sie gar nichts an", sage ich.
Sie gibt mir noch einen Rumtata mit Zitrone und Salbei. "Strawberry Fields forever", singen die Beatles. "Stopp das!", ruft man von hinten, "Hergott, wer legt denn da auf!"
Und dann kommen fette Bässe und Techno-Rhythmen. 150 Beats oder so.
Der Schuppen tanzt; 20 Minuten vielleicht. Dann ist auch das vorbei, weil der Benediktiner-Chor aus Maria-Laach singt das Magnificat.
Jetzt bin ich soweit, geh durch den Raum, schieb mich an den Tischen vorbei. An Schachbrettern Rudi Dutschke und Hermann Löns, Löns in der Lodenjoppe, Flinte daneben, Rudi in seinem ewigen Pulli.
An einem anderen Schachbrett Berti Brecht und Tomy Mann, paffen Cuba-Zigarren, stoßen sich den Qualm ins Gesicht.
"Sie sind am Zug, Krokodil", sagt der Brecht. Und Mann sagt: "Dass ich überhaupt hier mit Ihnen..." Adorno sitzt da, schmust mit einer Tussi aus einer Sit-Com. "Na", fragt eine über und über gepiercte Punk-Lady, die sich von hinten an ihn heranmacht "immer noch keine Songs nach Auschwitz?" Adorno schüttelt den Kopf. "Auch keine Songs, dass man nach Auschwitz keine Songs mehr bringen kann?", fragt der Zigarettenqualmer am Nebentisch, Mister Heiner Müller, I presume. Adorno schüttelt den Kopf.
Der Vogelweide, Paul Gerhardt, Christian Günther, der Fallersleben und Otto Reuter am Billardtisch auf ihre Queues gestützt, dazu Fischer-Diskau und Roy Black singen mit Johnny Cash aus den Boxen:
"I walk the Line". Adorno spuckt aus.
Herr K., Meister vom fünften Grad der Wertkritik, vor ihm hockend, streicht zustimmend über sein warenförmig geschnittenes Haar.
An einem Flipper-Automaten aus den 60er Jahren der Peter Handke im Kostüm eines serbischen Bauern, und Tischfußball spielen Bullbeisser Nietzsche und Schmalzlocke Sloterdijk
gegen Winnetou Bloch und Emanuel Habermas. Aber und wie!
Eine Gruppe Japaner schaut zu, total begeistert und knackevoll von Rumtata mit Zitrone und Salbei. Sie wollen die Loreley singen.
Gotthilf Fischer gesellt sich dazu
und ein DJ. mit Zickenbart, den sie hier "Trotzki" rufen. Sarah Wagenknecht, Bettina von Arnim, Nina Hagen und Bärbel Bohley beim Dart-Spiel! Was sagt man dazu!
Irgendwo auch Berta von Suttner und Rosa Luxemburg. Und Günter Grass tanzt mit Christa Wolf Paso Doble um einen runden Tisch voller bärtiger Bürgerrechtier.
Am Katzentisch zwei alte Kommunisten, Ulbricht und Honecker etwa? Jedenfalls augurenhaft schmunzelnd zu dem, was Stefan Hermlin - kalte Pfeife in seiner Linken -aus dem Manifest ihnen vorliest:
Diese pikante Stelle über die freie Entwicklung des Einzelnen als Bedingung für die freie Entwicklung aller. Vorm Eingang zum Männerklo als Dioskuren aus kackgelber Knetmasse lebensgroß h***** und Saddam. Zu ihren Füßen hockend der Enzensberger als grinsende schwäbische Tante. Und die Toilettenfrau muß Leni Riefenstahl sein. Vor dem fast blinden Spiegel jedenfalls Annette von Droste-Hülshoff frischt sich ihr Augen-Make up auf. Hinter ihr Rainer-Werner Fassbinder kratzt ihr mit einem Händchen aus Elfenbein die Rückenpartie.
Zurück im Saal.
Endlich mal keine Musik aus den Boxen. Am Skattisch im Eck unterm Fenster jubelt man über den Null Ouvert von Martin Walser.
Und ein paar alte Wehrmachts-Leutnants, die auch nichts geahnt haben wollen, Augstein und Schmidt unter ihnen, singen, dirigiert von Ernst Jünger in Sado-Maso-Leder
- Pour-Ie-Mérite am Schwanz baumelnd - das Lied vom Polenmädchen.
Die mich hier treffen wollte, ist nicht zu finden. Ich rufe sie an über Handy:
"Wo bleibst Du?", frage ich. Wo ich denn wäre. "Im Café nach dem Fall oder so, heißt heute aber schon wieder anders."
"Gibt's den Laden denn überhaupt noch?", fragt sie. "Na aber und wie", sage ich.
"Sorry", sagt sie, "ich bin auf dem Sprung in den Kosovo, dreh' einen Film über die UCK.
Ich meld' mich, wenn ich zurück bin. Also, Tschüssing, und bis die Tage."
In der Nähe vom Tresen jetzt einer im grauen Dreiteiler, weißer Schal. Vor ihm paar Burschen und Mädel, Armani-Klamotten alle.
"Bedeutungsakzente verschieben!", labert der grau-weiße Guru und "experimentelles Verhalten zur Wirklichkeit neu justieren, pragmatische Anpassung statt Entlarvung, sich selbst zum Fall machen
und dabei auf alle Fälle eingehen, aber auf gar keinen Fall mehr reinfallen, dafür positive Beteiligung an der ausgebrochenen Erinnerungsschlacht."
Einer der Burschen rüttelt ihm am Hosenreißverschluss. "Kau ihm ruhig einen, kau ihm ruhig einen", singen die Mädels.
In den Boxen jetzt
die Barrikaden-Stimme von Ernst Busch. Das Lied für Hans Beimler.
Ob das der wär' aus der Lindenstraße, fragt jemand. Gelächter, Gelächter.
Am Tresen zurück, frag' ich:
"Wer ist dieser grau-weiße Guru, dem sie einen blasen?" "Ach der", sagt die Bartenderin, "Basis-Beruhiger ist der, typischer Stenz der neuen Berliner Republik, Straßenkampf-Leader früher, dann Sponsor von Hausbesetzern; steht auf Gehaltslisten von mindestens zwei oder drei Diensten. Den kannst du vergessen." "Gib mir noch einen", sage ich. "Du kriegst jetzt höchstens noch einen Rumtata mit Zitrone und Salbei", sagt sie. Peter Schlemihl ohne Schatten sagt:
"Was hältst Du von Hip-Hop? Bist Du nicht der Hannes Wader?" "Nein", sage ich, "Ferdinand Feiligrath".
"Da ist doch auch nichts gegen zu sagen", sagt er. "Elton John", sagt Beckmann, "und Arnold Schönberg, das sind die größten." "Nein, PUBLIC ENEMY", sagt die Bartenderin, "und Herby, der Grönemeyer. Aber der allergrößte war und bleibt Jimi Hendrix." Ich trinke den letzten Rumtata mit Zitrone und Salbei.
Beckmann zieht seine Crack-Pfeife aus dem Brotbeutel und ein englisches Pflaster.
"Dat gibt et hier nich", sagt die Bartenderin, nimmt ihm das Zeug weg.
"Was soll ich denn singen?", frag' ich.
"Gar nix", sagt die Bartenderin, bringt mich zur Tür. "Jessica heiß' ich jetzt", sagt sie.
Sie hat mich zum Abschied geküßt. "Ich werde das nie vergessen", hat sie gesagt "an der Murg, weisse noch, Fränzken, Freikorps Willich. Fritz Engels war noch dabei, und wir im Gebüsch.
Die Preußen feuerten mit Kartätschen. Oder war's beim Ruhraufstand, Essen, mit Rudi Schulte dabei?
Du hast auf mein heißgeschossenes MG gepisst. Und Hamburg, Bäckerbreitergang, wohin die Bullen uns getrieben hatten, weg vom Springer-Hochhaus mit unseren Barrikaden. Oder Montagsdemo Leipzig;
Wir sind das Volk und diese Sachen und..."Nein", hab' ich gesagt, "das war eine andere Zeit und ich bin nicht dabei gewesen.
Na, ist ja egal", hat sie gesagt, "verloren haben wir ja sowieso immer."
Dann ist sie wieder reingegangen, Jessica, die Bartenderin, in die Retro-Bar oder wie der Laden jetzt heißt. "Ich weiß nicht was soll es bedeuten", singen sie, hör' ich, wie ich zur Bushaltestelle geh'.
Die Loreley also doch.
Gotthilf Fischer ist das gelungen, da bin ich mir sicher, wenn nicht sogar diesem Trotzki.
Es hat geregnet. Plötzliche Schauer. Der Bus kam.
Und zwei Mädchen rannten heran, hielten 'ne Plastik-Haut über ihre beiden kahlen Köpfe gespannt und lachten und lachten, und der Busfahrer hat gesagt:
"Was gibt es denn da zu lachen? Erzählt mal. Vielleicht lach ich mit."