Sie nun also ganz in Weiß, mit Strauß und Schleier,
Bernhard: Cutaway, Zylinder.
So kommen sie aus dem Portal durch das Spalier der Leute.
Die Orgel braust, die Glocken läuten, und die Sonne scheint.
Man klatscht, und ihre Klasse OIIIa wirft Reis. Ganz witzig -
eine Hochzeit wie aus einem Film der 50er Jahre.
Genauso haften sie sich's ausgedacht.
Sie weiß nicht, ob sie weinen oder lachen soll.
Bevor sie jetzt die Treppe runtergehn, bleiben sie stehn für einen kurzen Augenblick.
Sie sieht auf diese kleine, alte, schöne Stadt,
die ihr noch immer fremd ist, so wie diese Sprache, die gern alles klein und weich kaut,
aber immer auf der Lauer liegt.
12 Jahre ist das her, seit sie hierher gekommen ist als Lehrerin an das Gymnasium.
Sie hafte sich da hingemeldet,
aus der Großstadt weg, aus diesem Gift und eigenen Saft.
In einer kleinen schönen Stadt die alten Dinge in Bewegung setzen,
wenden, über junge Köpfe,
so hatten sie in Seminaren und in langen, heißen Nächten diskutiert.
Im Schwarz-Rot-Gold das ROT zum Leuchten bringen, müßte möglich sein,
gerade auch in der Provinz.
Die Zeichen waren gesetzt mit w**** Brandt und Gustav Heinemann.
Es roch nach Vormärz, und man sang die alten Lieder.
Diesmal müßte es gelingen, trotz Radikalenerlaß und
trotz alledem, trotz alledem.
Es lief auch gleich gut los:
Die Schüler mochten sie, und ein paar Kollegen dachten so wie sie.
Demokratie wurde gewagt im Schülerparlament.
Die Schülerzeitung haute auf den Putz. Flugblätter auf dem Schulhof.
Das Jugendzentrum wurde selbstverwaltet, und sie saß mit in dem Verwaltungsrat.
Sie demonstrierten gegen n***-Treffen, Waffenexport und den NATO-Flugplatz vor der Stadt.
Sie lasen Brecht in Deutsch, den kannte man noch nicht,
und in Geschichte Bundschuh, Bauernkrieg und '48 - die revolutionären Traditionen -
und diskutierten durch die langen, hellen Maiennächte,
und sie schwammen unterm Silbermond und nackt im Fluß.
Ihr Kursus in der Volkshochschule über Lohnarbeit und Kapital, der wurde abgesetzt.
So fing es an.
Man schloß das Jugendzentrum. Vorwand: Drogenhandel, Schlägerei.
Und sie bekam von ihrer Schulbehörde den Verweis.
War das der Grund, weshalb sie aus der Wohngemeinschaft ausgezogen ist?
Sie weiß es nicht mehr, weiß auch nicht mehr, wann die ersten Eltern von Verführung sprachen.
Indoktrination; und die Kollegen Vorsicht rieten.
Darüber hat sie nur gelacht
Doch daß sie dann im Unterricht beim Bauernkrieg
statt Thomas Münzer immer mehr dem Martin Luther recht gab,
war das diese Vorsicht?
Jedenfalls war es weit noch vor der Bonner Wende, als sie dem Tennisclub beitrat,
wo Bernhard spielte, aber auch die einflußreichen Leute aus der Stadt.
Ja, auch noch vor der Wende war es, als die neuen Schüler kamen,
cool und clever, ohne alle Illusionen,
wieder fein gekleidet,
die sich amüsierten, wenn sie mit den andern demonstrierte gegen Kernkraftwerke und Raketen;
und die wurden mehr und mehr und winkten müde ab:
Projektwoche? Friedenserziehung? So was ist doch out, und jetzt sind andere Themen angesagt.
Und als sie losschrie, unbeherrscht,
da haben sie sie ausgelacht,
Sabine auch und Markus.
Und die Scham in deren Augen, weil sie mehrheitsfähig bleiben wollten,
hat sie krankgemacht.
Die Magensäure läßt sie manchmal nicht mehr schlafen, und sie fragt sich: War das nun vergebens,
die 12 Jahre, eine Vormärzwiederholung, sehr romantisch, aber eben nur als Farce? Kommt jetzt die fürchterliche Wirklichkeit?
Doch, wer in diese Richtung denkt sagt Bernhard,
der kriegt Krebs.
Noch immer stehen sie oben auf der Treppe, und sie sieht auf diese kleine, alte, schöne Stadt
die ihr noch immer fremd ist.
Die Kirchentür steht offen, und die Orgel braust.
Die Glocken läuten, und die Sonne scheint.
Man klatscht, und ihre Klasse OIIIa wirft Reis.
Vater und Mutter fallen ihr ein.
Sie sind nicht da. Sie hat ihnen von der Hochzeit nicht geschrieben.
Berhard drückt jetzt ihren Arm. Sie sollen weitergehen.
Auf einmal sieht sie vor sich jenes Hochzeitsphoto ihrer Eltern im Familienalbum:
Ihre Mutter ganz in Weiß, mit Strauß und Schleier,
ihr Vater: Cutaway, Zylinder.
Die Kirchentür steht offen, und die Sonne scheint,
und sicher haben die Glocken auch geläutet und die Orgel hat gebraust,
wie sie durch das Spalier der Leute jetzt die Treppe runtergehn: ein Ehepaar.
Bernhard: Cutaway, Zylinder.
So kommen sie aus dem Portal durch das Spalier der Leute.
Die Orgel braust, die Glocken läuten, und die Sonne scheint.
Man klatscht, und ihre Klasse OIIIa wirft Reis. Ganz witzig -
eine Hochzeit wie aus einem Film der 50er Jahre.
Genauso haften sie sich's ausgedacht.
Sie weiß nicht, ob sie weinen oder lachen soll.
Bevor sie jetzt die Treppe runtergehn, bleiben sie stehn für einen kurzen Augenblick.
Sie sieht auf diese kleine, alte, schöne Stadt,
die ihr noch immer fremd ist, so wie diese Sprache, die gern alles klein und weich kaut,
aber immer auf der Lauer liegt.
12 Jahre ist das her, seit sie hierher gekommen ist als Lehrerin an das Gymnasium.
Sie hafte sich da hingemeldet,
aus der Großstadt weg, aus diesem Gift und eigenen Saft.
In einer kleinen schönen Stadt die alten Dinge in Bewegung setzen,
wenden, über junge Köpfe,
so hatten sie in Seminaren und in langen, heißen Nächten diskutiert.
Im Schwarz-Rot-Gold das ROT zum Leuchten bringen, müßte möglich sein,
gerade auch in der Provinz.
Die Zeichen waren gesetzt mit w**** Brandt und Gustav Heinemann.
Es roch nach Vormärz, und man sang die alten Lieder.
Diesmal müßte es gelingen, trotz Radikalenerlaß und
trotz alledem, trotz alledem.
Es lief auch gleich gut los:
Die Schüler mochten sie, und ein paar Kollegen dachten so wie sie.
Demokratie wurde gewagt im Schülerparlament.
Die Schülerzeitung haute auf den Putz. Flugblätter auf dem Schulhof.
Das Jugendzentrum wurde selbstverwaltet, und sie saß mit in dem Verwaltungsrat.
Sie demonstrierten gegen n***-Treffen, Waffenexport und den NATO-Flugplatz vor der Stadt.
Sie lasen Brecht in Deutsch, den kannte man noch nicht,
und in Geschichte Bundschuh, Bauernkrieg und '48 - die revolutionären Traditionen -
und diskutierten durch die langen, hellen Maiennächte,
und sie schwammen unterm Silbermond und nackt im Fluß.
Ihr Kursus in der Volkshochschule über Lohnarbeit und Kapital, der wurde abgesetzt.
So fing es an.
Man schloß das Jugendzentrum. Vorwand: Drogenhandel, Schlägerei.
Und sie bekam von ihrer Schulbehörde den Verweis.
War das der Grund, weshalb sie aus der Wohngemeinschaft ausgezogen ist?
Sie weiß es nicht mehr, weiß auch nicht mehr, wann die ersten Eltern von Verführung sprachen.
Indoktrination; und die Kollegen Vorsicht rieten.
Darüber hat sie nur gelacht
Doch daß sie dann im Unterricht beim Bauernkrieg
statt Thomas Münzer immer mehr dem Martin Luther recht gab,
war das diese Vorsicht?
Jedenfalls war es weit noch vor der Bonner Wende, als sie dem Tennisclub beitrat,
wo Bernhard spielte, aber auch die einflußreichen Leute aus der Stadt.
Ja, auch noch vor der Wende war es, als die neuen Schüler kamen,
cool und clever, ohne alle Illusionen,
wieder fein gekleidet,
die sich amüsierten, wenn sie mit den andern demonstrierte gegen Kernkraftwerke und Raketen;
und die wurden mehr und mehr und winkten müde ab:
Projektwoche? Friedenserziehung? So was ist doch out, und jetzt sind andere Themen angesagt.
Und als sie losschrie, unbeherrscht,
da haben sie sie ausgelacht,
Sabine auch und Markus.
Und die Scham in deren Augen, weil sie mehrheitsfähig bleiben wollten,
hat sie krankgemacht.
Die Magensäure läßt sie manchmal nicht mehr schlafen, und sie fragt sich: War das nun vergebens,
die 12 Jahre, eine Vormärzwiederholung, sehr romantisch, aber eben nur als Farce? Kommt jetzt die fürchterliche Wirklichkeit?
Doch, wer in diese Richtung denkt sagt Bernhard,
der kriegt Krebs.
Noch immer stehen sie oben auf der Treppe, und sie sieht auf diese kleine, alte, schöne Stadt
die ihr noch immer fremd ist.
Die Kirchentür steht offen, und die Orgel braust.
Die Glocken läuten, und die Sonne scheint.
Man klatscht, und ihre Klasse OIIIa wirft Reis.
Vater und Mutter fallen ihr ein.
Sie sind nicht da. Sie hat ihnen von der Hochzeit nicht geschrieben.
Berhard drückt jetzt ihren Arm. Sie sollen weitergehen.
Auf einmal sieht sie vor sich jenes Hochzeitsphoto ihrer Eltern im Familienalbum:
Ihre Mutter ganz in Weiß, mit Strauß und Schleier,
ihr Vater: Cutaway, Zylinder.
Die Kirchentür steht offen, und die Sonne scheint,
und sicher haben die Glocken auch geläutet und die Orgel hat gebraust,
wie sie durch das Spalier der Leute jetzt die Treppe runtergehn: ein Ehepaar.